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Studie: Geflüchtete Kinder in sonderpädagogischen Lernsettings

Ein Beitrag von Eva Keller und Kushtrim Adili, Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften

Einleitung

Statistiken zeigen, dass in der Schweiz Kinder mit Migrationshintergrund überproportional oft Sonderschulung erhalten. In der von Januar bis Dezember 2021 durchgeführten und von der Stiftung Mercator Schweiz finanzierten Studie wurden mittels 25 narrativen Interviews mit betroffenen Eltern sowie mit Fach- und Lehrkräften die Schullaufbahn von 35 Kindern zwischen 4 und 16 Jahren im Kanton Zürich analysiert und versucht, daraus wichtige Momente und Faktoren zu identifizieren, die zur Platzierung in sonderpädagogische Settings führen. Der Schwerpunkt lag auf den Prozessen, die zur Sonderschulung führten. Besondere Aufmerksamkeit galt der Traumatisierung.

Erkenntnisse

Aus den analysierten Gesprächen ging hervor, dass geflüchtete Familien wenig Kenntnisse über das Schweizer Schul- und Abklärungssystem haben. Die Eltern fühlen sich in der für sie unüberschaubaren Anzahl und dem Netz von involvierten Personen und Fachstellen allein gelassen. Hinzu kommt, dass sich dieses Netz nach jedem Umzug im Rahmen des Asylverfahrens ändert. Die ständigen Umzüge und Schulhauswechsel beeinflussen auch die schulische Integration und Leistungen der Kinder.

Ein weiteres, oft von Lehr- und Fachpersonen genanntes Thema sind die Ressourcen. Diese haben einen wesentlichen Einfluss auf die Entscheidungen bezüglich sonderpädagogischer Förderung eines Kindes. Damit verbunden ist auch die Haltung der Lehrpersonen und der Schulleitungen. Wenn Lehrpersonen, die überaus wichtige Bezugspersonen für Schüler*innen sind, für geflüchtete Eltern keinen zusätzlichen Effort leisten können oder wollen, kommt der Kontakt zwischen Schule und Eltern schleppend voran und die Eltern kommen nicht zurecht im Schulsystem, was auch einen Einfluss auf die Kinder hat. Anhand von verschiedenen Fällen konnte der Einfluss der Lehrpersonen auf die Leistungen der geflüchteten Schüler*innen aufgezeigt werden.

Mehrere psychologische und psychiatrische Fachpersonen weisen zudem darauf hin, dass von Lehrpersonen erkannte Lernbeeinträchtigungen verschiedenste Ursachen haben können – z. B. Posttraumatische Belastungsstörung , und dass es an Sensibilität dafür fehlt. Die Lehrpersonen müssten sich über obligatorische Weiterbildungen ein Grundwissen zum Thema Trauma aneignen, um Anzeichen einer Posttraumatischen Belastungsstörung zu erkennen und eine Abklärung bei Fachpersonen in die Wege leiten zu können.

Besonders herausfordernd für das Schulsystem sind geflüchtete Kinder, die keine unterdurchschnittlichen schulischen Leistungen erbringen, aber verhaltensauffällig sind. Dies führt nicht selten zu Überforderung der Lehrpersonen, die daraufhin das Kind in ein Sondersetting «abschieben». Die Verhaltenseinstufung ist gemäss mehreren Fachpersonen auf die Verhaltensmuster von Schweizer Mittelschichtkindern normiert und deshalb problematisch.

Weiter wurde von verschiedenen Seiten bemängelt, dass geflüchtete Eltern nicht genug an schulischen Entscheidungen teilhaben können. Dies hängt damit zusammen, dass Lehrpersonen oft nicht transparent genug mit den Eltern kommunizieren. Eine weitere Ursache dafür sind kulturbedingte Missverständnisse, die u. a. von unterschiedlichen Erziehungsverständnissen herrühren. Die Lehrpersonen nehmen an, dass geflüchtete Eltern über das Wissen und die gleichen Möglichkeiten wie Schweizer Mittelschichteltern verfügen. Die geflüchteten Eltern hingegen bringen den Lehrpersonen grosses Vertrauen entgegen und geben die Erziehungsverantwortung an die Lehrpersonen ab. Um solche Missverständnisse vorzubeugen, bedarf es obligatorischer Weiterbildungen zu transkulturellen Kompetenzen für die Mitarbeitenden an den Schulen sowie des Schulpsychologischen Dienstes. Zudem ist eine transparentere Kommunikation unabdinglich.

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Eva Keller

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Kushtrim Adili

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