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Krisenwohngruppe Winterthur – Ein Zuhause auf Zeit

Autor: Sergio Caputo, Sozialpädagoge in der Krisenwohngruppe Winterthur

Die Stiftung OKey in Winterthur setzt sich für einen wirksamen und koordinierten Schutz von Kindern und Jugendlichen vor Gefährdung und Misshandlung ein – bisher durch Beratungs- und Unterstützungsangebote für die betroffenen Kinder und Jugendlichen und deren Angehörige sowie Fachleute. Seit dem 1. Juni 2019 kann die Stiftung durch die Eröffnung der neuen Krisenwohngruppe Winterthur (kurz KWG) Kindern und Jugendlichen auch stationären Schutz bieten. Die Kinder und Jugendlichen finden auf dem Winterthurer Brühlberg ein Zuhause auf Zeit, bis sich die familiäre Krisensituation beruhigt hat und Anschlusslösungen sowie neue Perspektiven geschaffen wurden.

Stiftung OKey Winterthur

Mit der Eröffnung der KWG erweitert die Stiftung OKey ihr Engagement um ein weiteres Angebot für Kinder und Jugendliche – den stationären Schutz. Die Wohngruppe bietet Platz für neun Kinder und Jugendliche im Alter von 4 bis 16 Jahren, die in ihrer Familie körperliche, psychische oder sexuelle Gewalt erleben oder vernachlässigt werden. Aufgrund der erlebten Grenzüberschreitungen befinden sich die betroffenen Kinder und Jugendlichen in einer schweren psychoemotionalen Notlage, welcher die KWG entgegenzuwirken versucht.

Die Fachstelle der Stiftung OKey ist seit vielen Jahren eine anerkannte Opferberatungsstelle für Kinder und Jugendliche sowie Fachleute, die den Verdacht hegen oder in Kenntnis darüber sind, dass Kinder und Jugendliche Misshandlungen oder Übergriffe erleben. Dabei steht ein koordinierter, wirksamer und nachhaltiger Kinderschutz im Zentrum, welcher dank langjähriger, enger interdisziplinärer Zusammenarbeit erreicht wird.

Sozialpädagogischer Alltag in der KWG

Die KWG erachtet sich als eine metaphorisch betrachtete Insel auf der Lebenslinie von Kindern und Jugendlichen, die bisher von vielen anspruchsvollen und gewaltgeprägten Momenten gezeichnet war. Als einen Ort, der ihnen auf dieser Lebenslinie temporär Ruhe, Sicherheit und Geborgenheit bieten soll.

Um den Betroffenen in diesen komplexen Lebenssituationen gerecht zu werden und ihnen neue Perspektiven eröffnen zu können, setzt sich ein Team von Sozialpädagog*innen seit der Eröffnung fortlaufend mit der Frage auseinander, was Kinder und Jugendliche in solch schweren Situationen brauchen. Das KWG-Team wird im Bearbeiten dieser anspruchsvollen und vielschichtigen Frage regelmässig durch eine Fachpsychologin für Psychotherapie und Psychotraumatologie unterstützt und supervidiert.

Es handelt sich um Kinder und Jugendliche, die ihr familiäres und gewohntes Nest verlassen mussten und durch diese grossen Systemveränderungen sehr unterschiedlichen und schwer einzuordnenden Gefühlen ausgesetzt sind. Schuld, Scham, Verrat sowie Loyalitätskonflikte sind einige dieser Schlagworte, die für die Fachpersonen in der täglichen Arbeit mit den Kindern und Jugendlichen spürbar sind. Diese müssen lernen damit umzugehen, dass sich ihr Leben durch den Entscheid des Aufenthaltes in der KWG grundlegend verändert hat.

Ein zentraler Fokus der Fachpersonen der KWG ist es, die Kinder und Jugendlichen durch diese belastete und herausfordernde Zeit zu begleiten und sie zu unterstützen. Dabei sind eine hohe Verlässlichkeit und Transparenz gegenüber den Kindern und Jugendlichen sowie eine gelebte Mitsprache wichtige Säulen der Zusammenarbeit. Die Betroffenen sollen sich in ihrem Sein akzeptiert fühlen, respektive das Anrecht auf eine offene und authentische Auseinandersetzung haben. Den Verhaltensweisen wird mit einer verstehenden Haltung begegnet. Im professionellen Verständnis der KWG ist es Grundvoraussetzung auch hinter konflikthaften und grenzverletzenden Verhalten den guten Grund zu analysieren, sowie darin enthaltene Ressourcen sichtbar zu machen. Es liegt den Mitarbeitenden in der KWG am Herzen, stets mit einer Neugierde auf ihr Klientel zuzugehen und ihnen trotz ihrer lebensgeschichtlichen Tragik nicht als Opfer zu begegnen. Die Kinder und Jugendlichen, die einen Aufenthalt in der KWG benötigen, haben traumatisierende (Beziehungs-) Erfahrungen gemacht oder wachsen unter belastenden Umständen auf. Um dem, während dem Aufenthalt, entgegenzuwirken orientieren sich die Mitarbeitenden an einer traumasensiblen Arbeitsweise. Dadurch wird den Kindern und Jugendlichen die Möglichkeit geboten, ihre gewohnten Spiralen zumindest phasenweise aufzubrechen und so alternative Wege einschlagen zu können.

Trotz diesen Überzeugungen in der professionellen Arbeit stossen die Mitarbeitenden an persönliche Grenzen und begegnen dem eigenen Scheitern.

Der Aufenthalt in der KWG, weg vom gewohnten Zuhause, soll in akuten Krisensituationen der Beruhigung und Entlastung der Kinder und Jugendlichen und deren Umfeld dienen. Die Kinder und Jugendlichen erhalten die Möglichkeit sich zu stabilisieren. Ritualisierte Abläufe innerhalb des Alltags, sowie individualisierte Hilfen ermöglichen es den Kindern und Jugendlichen, in ihrem Selbst wahr- und ernstgenommen, vor allem jedoch bestätigt zu werden. Diese Gelegenheit im Alltag selbstwirksame Erfahrungen zu sammeln und sich damit als handlungsfähig zu erleben, hat aufgrund der akuten Destabilisierung eine zentrale Bedeutung.

Weiter wird der Einbezug des Familiensystems sowie weiterer wichtiger Bezugspersonen als wesentlich erachtet, um eine nachthaltige Veränderung unguter Familienrealitäten zu erreichen. Die KWG setzt sich dafür ein, die Kinder und Jugendlichen soweit möglich gemeinsam mit ihren Familien, im Beschreiten des weiteren Weges zu unterstützen. So werden im Verlauf des Aufenthaltes die weiterführenden Schritte geplant und aufgegleist - mit der Hoffnung, die Kinder und Jugendlichen möglichst vor weiteren Gewalttaten schützen zu können.

Dieser Schutz ist gemeinsames Ziel aller Aktivitäten von OKey: Mit der Krisenwohngruppe Winterthur ist ein weiterer wichtiger Schritt zu einem umfassenden Kinderschutz von Winterthur und Region getan.
 

Krisenwohngruppe OKey Winterthur