Vertrauensperson – gute Idee, schwierige Umsetzung?

Kinder und Jugendliche, die ausserhalb ihrer Herkunftsfamilie leben, sollen laut Pflegekinderverordnung (PAVO) eine Vertrauensperson haben. Eine Person, an die sie sich wenden können – bei Fragen, Unsicherheiten, oder wenn es im Alltag schwierig wird.

Doch was einfach klingt, ist in der Praxis alles andere als klar.

Was heisst überhaupt «Vertrauensperson»?

Wer wählt sie aus?

Wie entsteht Vertrauen – und wie wird es geschützt?

In der Testing-Phase unseres gemeinsamen Innovationsprojekts mit YOUVITA, dem Kompetenzzentrum Leaving Care, Pflege- und Adoptivkinder Schweiz und dem Careleaver Verband Schweiz sind wir diesen Fragen nachgegangen – gemeinsam mit Fachpersonen aus unterschiedlichen Bereichen und mit Kindern und Jugendlichen, die in Institutionen leben. Ziel war es, nicht nur die Theorie zu prüfen, sondern ein realistisches Bild der aktuellen Praxis, ihrer Herausforderungen und Entwicklungsmöglichkeiten zu gewinnen.

Die Idee einer «Vertrauensperson» für ausserfamiliär untergebrachte Kinder und Jugendliche ist gut gemeint – aber die Realität in der Praxis ist geprägt von Widersprüchen, Unsicherheiten und Zielkonflikten. Diese Spannungsfelder zeigen: Es reicht nicht, den Begriff der «Vertrauensperson» rechtlich zu verankern. Es braucht ein tieferes Verständnis für die Beziehungsebenen im Alltag ausserfamiliär untergebrachter Kinder – und Modelle, die der Komplexität gerecht werden. Der nächste Schritt ist darum, gemeinsam mit Kindern und Fachpersonen neue Wege zu entwickeln, wie echte Vertrauensbeziehungen entstehen und gepflegt werden können – im Rahmen des Möglichen, mit Klarheit über Rollen, mit Respekt vor der Perspektive der Kinder.

Unsere wichtigsten Erkenntnisse aus der Testing-Phase

Fachpersonen sind sich einig: Das Konzept der «Vertrauensperson» ist sinnvoll – aber in der Umsetzung diffus.

  • Die Zuständigkeiten sind unklar, die Erwartungen uneinheitlich.
  • Viele denken an eine «langfristig verlässliche Person», die aber kaum zu finden ist – vor allem nicht ausserhalb des familiären Netzwerks.
  • Eltern werden oft genannt, sind aber Teil des Systems – und damit nicht im Sinne der Vorgabe.
  • Die Kinderperspektive wurde in der Ausgestaltung der PAVO kaum berücksichtigt.

Kinder und Jugendliche haben ein feines Gespür für Vertrauen – aber es ist fragil.

  • Vertrauen braucht Zeit, echte Begegnung und die Möglichkeit, Fehler einzugestehen.
  • Kinder sagen: «Vertrauenspersonen müssen auf meiner Seite sein», «sie dürfen nicht alles weitererzählen» oder «sie müssen verstehen, was ich brauche».
  • Viele Kinder erleben Brüche, Wechsel und Unsicherheit – gerade deshalb ist Beziehungssicherheit zentral.
  • Vertrauen ist kein Status, sondern ein Prozess – manchmal beginnt er mit einem Drachen aus Lego oder einem Gespräch beim Pizzaessen.

Was bedeutet das für die Praxis?

Die Rückmeldungen zeigen deutlich: Wenn wir wollen, dass Kinder tatsächlich von einer «Vertrauensperson» profitieren, braucht es mehr als eine formale Vorgabe. Es braucht Haltung, Raum für Beziehung und vor allem ein Verständnis dafür, was Vertrauen für Kinder und Jugendliche bedeutet.

Die Idee der «einen Vertrauensperson» greift zu kurz. Was Kinder brauchen, ist ein verlässliches Netzwerk – mit mehreren potenziell vertrauten Personen, innerhalb und ausserhalb des Systems. Dafür braucht es einen neuen Blick auf Beziehungsarbeit: sensibel, kindzentriert und realistisch umsetzbar.

Das Projektteam befindet sich mittlerweile in der dritten Projektphase. Die gewonnenen Erkenntnisse aus Gesprächen, Workshops und Analyse werden nun gezielt weiterentwickelt – mit dem Ziel, Kinder in ausserfamiliärer Unterbringung nachhaltig zu stärken und die Praxis konkret zu unterstützen.

Ihre Gedanken sind gefragt

  • Wie gelingt es Ihnen, vertrauensvolle Beziehungen zu Kindern und Jugendlichen aufzubauen?
  • Welche Stolpersteine erleben Sie in der Zusammenarbeit rund um das Thema «Vertrauensperson»?
  • Was braucht es, damit Kinder sich wirklich sicher und gehört fühlen – jenseits von Zuständigkeiten und Vorgaben?

Wenn Sie mitdenken oder mitwirken möchten – wir freuen uns auf den Austausch.

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