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Vom Heimkind zum Erwachsenen: Das Projekt «JAEL - Jugendhilfeverläufe: Aus Erfahrung lernen» 

Vor 10 Jahren wurden im Rahmen des Modellversuchs MAZ. rund 600 Heimkinder aus der ganzen Schweiz auf psychosoziale Belastungsfaktoren untersucht. Um mehr Einsicht darüber zu bekommen, wie es diesen teils schwer belasteten jungen Menschen heute geht, werden sie im Modellversuch JAEL nun erneut befragt. Der Fokus wird dabei auch darauf gelegt, wie sie rückblickend die Heimerziehung bewerten und wie sie die Transition ins Erwachsenenalter erlebt haben.
Von Cyril Boonmann, Nils Jenkel

MAZ.

Bis anfangs des 21. Jahrhunderts gab es in der Schweiz keine aussagekräftige epidemiologische Untersuchung von psychosozialen Belastungen und pädagogischen Bedürfnissen von Kindern und Jugendlichen in der Heimerziehung. Um diese Lücke zu füllen hat die Forschungsabteilung der Kinder- und Jugendpsychiatrischen Klinik der UPK Basel in Kooperation mit dem Universitätsklinikum Ulm im Rahmen des «Modellversuch Abklärung und Zielerreichung – MAZ.» eine grosse Stichprobe untersucht. Das Bundesamt für Justiz unterstützte den Modellversuch um repräsentative Erkenntnisse für die Schweiz zu gewinnen und der Praxis geeignete Beurteilungsverfahren zur Planung und Steuerung von pädagogischen Massnahmen zur Verfügung zu stellen.

Im Zeitraum von 2007 bis 2012 wurden mit MAZ. insgesamt 592 Jugendliche aus 64 sozialpädagogischen Institutionen in der Deutschschweiz, der Romandie und dem Tessin untersucht. Die Befragungen umfassten computerbasierte Selbst- und Fremdbeurteilungen sowie klinische Interviews. Mitunter wurden psychische Auffälligkeiten (inkl. Traumata und Substanzkonsum) und delinquentes Verhalten erfasst. Die Ergebnisse bestätigen die deutlich überdurchschnittliche psychosoziale Belastung dieser Kinder und Jugendlichen: Beispielsweise erfüllen Dreiviertel die Diagnosekriterien für mindestens eine psychiatrische Erkrankung und etwa die Hälfte sogar für zwei oder mehr Störungen. Zudem berichten vier von fünf Befragten von mindestens einem traumatischen Erlebnis. Der Abschlussbericht von MAZ. kann hier heruntergeladen werden.

JAEL

Obwohl mit MAZ. gezeigt werden konnte, dass den stationären Massnahmen in der Schweiz eine gute Wirksamkeit zuzuschreiben ist, konnten noch keine Aussagen zu längerfristigen Ergebnissen getroffen werden. Deswegen werden jetzt, rund zehn Jahre später, die mittlerweile jungen Erwachsenen im Rahmen der Folgeuntersuchung «JAEL – Jugendhilfeverläufe: Aus Erfahrung lernen» (2016-2021) erneut befragt. JAEL hat zum Ziel, den weiteren Entwicklungsverlauf und die aktuelle Lebenssituation der ehemaligen Heimkinder möglichst umfassend zu beschreiben. Die vertieften Analysen der spezifischen Problemlagen und der sozialen Teilhabe versprechen wichtige Erkenntnisse, welche künftig zu Verbesserungen in der stationären Jugendhilfe und der Gestaltung von den Übergängen in die Verselbständigung beitragen sollen. Die multimethodische Untersuchung kombiniert verschiedene Datenquellen sowie prospektive und retrospektive Analysen. Das prospektive Studiendesign erlaubt es, die längerfristige Bedeutung spezifischer Schutz- und Risikofaktoren auf die soziale Teilhabe zu identifizieren. Anhand einer semistrukturierten Befragung der jungen Erwachsenen werden die Gelingensfaktoren und Stolpersteine in der Ausgestaltung der Heimerziehung und der Transition ins Erwachsenalter retrospektiv analysiert. Insbesondere die Informationen von jungen Erwachsenen mit einer guten sozialen Teilhabe, die früher viele Risikofaktoren aufwiesen, könnten wichtige Hinweise für eine sozialintegrative Unterstützung durch die stationäre Jugendhilfe liefern.

Zur konkreten Unterstützung der Praxis werden die gewonnenen Erkenntnisse in einer zweiten Phase des Projekts in einem E-Learning-Programm aufbereitet werden. Diese Plattform soll es Fachpersonen erlauben, konkrete Ideen und Sicherheit im Umgang mit auffälligen Verhaltensweisen, diagnostischen Befunden sowie den darin identifizierten Risiko- und Schutzfaktoren zu entwickeln. Damit verspricht man sich, dass die Selbstwirksamkeit der Fachpersonen gestärkt werden kann, was wiederum auch einen positiven Einfluss auf die Entwicklung der Kinder und Jugendlichen haben wird. Die Zufriedenheit und der praktische Nutzen dieses E-Learnings werden vom Universitätsklinikum Ulm extern evaluiert.

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